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Ein Gespräch mit Christoph Lex von carnivoro.eu

freies Bild vom Interviewpartner Christoph Lex

fitkult.de: Lieber Christoph, vielen Dank, dass du dir heute die Zeit nimmst, um mit uns über einen Ernährungstrend zu sprechen, der derzeit kontrovers diskutiert wird – die Carnivore Ernährung. Kannst du uns aufklären – worum handelt es sich dabei eigentlich?

Christoph Lex: Gerne! Bei der aus dem Englischen Sprachraum stammenden „carnivore diet“ oder zu Deutsch, der Carnivoren Ernährung, handelt es sich um eine Ernährungsform, bei der ausschließlich tierische Produkte auf dem Speiseplan stehen. Gegessen wird vor allem rotes Fleisch, Innereien, Eier und Fisch. Je nach Verträglichkeit werden auch Milchprodukte wie Butter und Käse konsumiert. Weggelassen werden alle pflanzlichen Lebensmittel. Allerdings muss man bei der Carnivoren Ernährung mittlerweile verschiedene Subtypen unterscheiden. Ich habe gerade die klassische Carnivore Diät beschrieben. Es gibt aber auch entspanntere Varianten wie die animal-based Diät (analog zur plant-based diet), bei der neben den oben genannten Lebensmitteln auch leicht verdauliches Obst und Honig gegessen werden dürfen.

Bei uns in Deutschland steckt die Carnivore Ernährung zwar noch in den Kinderschuhen, aber wir konnten in den letzten Monaten eine deutliche Zunahme der Nachfrage in unserem Onlineshop auf carnivoro.eu verzeichnen. Es scheint fast so, als formt sich eine Gegenbewegung zum Veganismus, der in den letzten Jahren extrem an Popularität gewonnen hat.

Das heißt, es gibt also nicht die “eine” Carnivore Ernährungsweise sondern verschiedene Untertypen?

Kannst du deine individuelle Carnivore Ernährungsweise etwas konkreter beschreiben?

Gerne. Bei mir sind alle Lebensmittel tierischen Ursprungs erlaubt (inkl. Milch, Käse und gelegentlich auch Honig). Primäre Kohlenhydratquellen sind für mich gut verträgliches Obst (Beeren, Bananen, Mango, Wassermelone, Gurken, Oliven und Avocados). Anfangs habe ich mich strikt Carnivore ernährt mit hohem Fettanteil, heute gleicht  meine Ernährung am ehesten einer animal-based diet. Allerdings finde ich den Geschmack von Innereien eher gewöhnungsbedürftig und supplementiere deshalb mit gefriergetrockneten Rinderorgankapseln (aktuell Leber, Niere, Milz, Stierhoden, Ochsengalle), um meinen Bedarf an Vitaminen und Spurenelementen zu decken. Da ich Leistungssport betreibe, esse ich zwischen 3500 und 4000 Kalorien pro Tag, davon sind immer 250g Protein, 250g Fett und 100-200g Kohlenhydrate je nach Härte der Trainingseinheiten. Ich esse nie mehr als 2x pro Tag, bei geringerem Trainingspensum auch gerne mal nur 1x täglich.

Trotz kohlenhydratarmer Ernährung bist du erfolgreicher Ausdauersportler und Hyrox Athlet. Kannst du kurz schildern, wann du damit begonnen hast, wie du trainierst und an welchen Wettkämpfen du teilnimmst?

Meine ersten richtigen OCR (obstacle course racing) Wettkämpfe (zu deutsch: Hindernisrennen) habe ich 2017 absolviert. Damals habe ich noch in Taiwan gearbeitet und war von 2018-2020 im Profikader von Spartan Race (dem weltweit größten Veranstalter von Hindernisrennen). In dieser Zeit zwei Gesamtsiege und 5 Podiumsplätze verzeichnen. Mit dem Beginn der Pandemie blieben die großen Sportveranstaltungen leider aus und meine “Karriere” nahm ein rasches Ende. 2021 habe ich HYROX für mich entdeckt. Dabei handelt es sich um einen Fitness Wettkampf, der Ausdauer- und Kraftsport kombiniert. Athleten müssen insgesamt 8×1 km laufen. Zwischen den einzelnen Laufintervallen muss ein funktionelles Workout (1000m Rudern, 100m Ausfallschritte mit Zusatzgewicht, etc.) absolviert werden.

Hier gewinnt selten der schnellste Läufer oder der mit den dicksten Muskeln, sondern derjenige, der die beiden Disziplinen Kraft und Ausdauer am besten vereint und sich möglichst schnell zwischen den unterschiedlichen Modalitäten regenerieren kann. Bislang habe ich an 8 HYROX Wettkämpfen teilgenommen, von denen ich 7 mal auf dem Podium stand. Davon 3 mal als Gesamtsieger, in Karlsruhe, London und Hongkong (in der Doubles Division). In der Wettkampfphase trainiere ich zweimal pro Tag. Morgens steht fast immer eine leichte Ausdauereinheit (Laufen, Fahrrad, Ruder- oder Skiergometer) auf dem Programm, abends Krafttraining. Beim Ausdauertraining bin ich ein Fan von stark-polarisiertem Training, auch 80:20 Training genannt. Das heißt, dass der Großteil (ca. 80%) meiner Trainingseinheiten im Grundlagenausdauerbereich stattfindet, bei den restlichen 20% wird die Intensität hochgeschraubt. Mein Krafttraining ist größtenteils Maximalkrafttraining mit schweren Gewichten und sehr niedrigen, einstelligen Wiederholungsbereichen. Denn zu viel Muskelmasse mit sich herumzuschleppen ist gerade bei langen Laufevents eher hinderlich. Einmal pro Woche mache ich ein HYROX-spezifisches Training, bei dem ich Kraft- und Ausdauerelemente kombiniere.

Fehlen dir bei solch hohen Trainingsumfängen und –intensitäten nicht dieKohlenhydrate? Setzt du Kohlenhydrate strategisch vor bzw. in Wettkämpfen ein?

Da ich mich in der Wettkampfsaison zu keiner Zeit in Ketose befinde, reicht mir mein Glykogenspeicher für 80% der Trainingseinheiten aus. Lediglich vor Wettkämpfen und sehr harten Einheiten nehme ich 100-200g für mich gut tolerierbare und schnell wirkende Kohlenhydrate (Honig, Milchreis, Bananen, etc.). Dauern die Wettkämpfe länger als 90 Minuten, nehme ich einen Mix aus Honig und Salz während des Events. Mein morgendliches Ausdauertraining erfolgt fast ausnahmslos auf nüchternen Magen. Das funktioniert für mich für Dauerläufe von bis zu 2 ½ Stunden sehr gut. Da ich mich seit 2018 kohlenhydratarm ernähre, denke ich auch, dass mein Körper bei vergleichsweise hohen Belastungen prozentual mehr Fett verbrennt als der typische high-carb Ausdauersportler. Nach dem morgendlichen Training nehme ich je nach Volumen und Intensität zwischen 100-200g Kohlenhydrate zu mir. Für den Rest des Tages kommen dann fast ausschließlich Fleisch und Tierprodukte auf den Teller.

fitkult.de: Der Erfolg scheint dir Recht zu geben. Heißt das, dass wir nun alle wahllos Unmengen an Fleisch essen sollen?

Christoph Lex: Tatsächlich glaube ich, dass der Großteil der Bevölkerung von einer gesteigerten Proteinzufuhr profitieren würde. Die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen 0,8g Protein pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag sind meines Erachtens viel zu niedrig angesetzt. Wer sich dann noch überwiegend pflanzlich ernährt und sich an die DGE Richtlinie hält, der wird Schwierigkeiten haben, selbst auf diesen viel zu niedrig angesetzten Richtwert zu kommen. Denn pflanzliche Eiweiße wie Erbsen- oder Sojaprotein werden durch die schlechte Bioverfügbarkeit deutlich schlechter vom Körper absorbiert als tierische Proteine. Viele für uns wichtige Nährstoffe wie Kreatin, Cholin, Taurin, Coenzym Q10 oder Carnitin finden sich ausschließlich in Lebensmitteln tierischen Ursprungs. Gerade Sportler oder körperlich arbeitende Menschen sollten meiner Ansicht nach täglich hochwertiges Fleisch oder Fisch aus nachhaltiger Produktion essen. Auch Eier sind nicht nur eine hervorragende Proteinquelle, sondern sind auch vollgepackt mit wichtigen Mikronährstoffen und selbst in Bio-Qualität verhältnismäßig günstig zu haben.

fitkult.de: Ist mittlerweile nicht hinlänglich bekannt, dass restriktiveFormen der Ernährung schnell zu deutlichen Mangelerscheinungen führen? Wie sieht es bei der carnivoren Ernährung aus?

Christoph Lex: Restriktiv liegt immer im Auge des Betrachters. Wenn wir uns im Tierreich umschauen, dann kommen wir auch nicht auf die Idee zu sagen, dass Löwen oder Kühe eine restriktive Diät essen. Löwen essen nur rohes Fleisch, Kühe dagegen nur Gras und Weidekräuter. Trotzdem scheint es für beide Tiere eine optimale und artgerechte Ernährung zu sein, da ihr Verdauungsapparat auf den Konsum von Fleisch bzw. Pflanzen ausgelegt ist. SO werden unsere Haustiere (Katzen und Hunde) erst dann übergewichtig und krank, wenn sie über lange Zeit die von uns gemachte Tiernahrung essen. Eine restriktive Ernährung heißt nicht, dass es sich dabei um eine schlechte oder einseitige Ernährung handelt. Restriktion ist das Resultat der Anpassung eines Lebewesens an seine Umwelt. Evolutionär gesehen ist Anpassung an die Umwelt ein Überlebensvorteil. Mangelerscheinungen können, wie bei jeder Ernährungsweise, auftreten und existieren auch bei einer schlecht geplanten, Carnvioren Ernährung. Oft lassen sich diese Mangelerscheinungen jedoch durch Hinzufügen von vitaminreichen Organen wie Leber oder Milz beseitigen. Wer sich am Geschmack von Organen stört, kann diese mittlerweile auch in Kapselform zu sich nehmen. Allerdings muss an dieser Stelle gesagt werden, dass alle für den Menschen essentiellen Makro- und Mikronährstoffe in tierischen Lebensmitteln vorhanden sind. Bei idealer Gestaltung muss bei einer Carnivoren Ernährungsweise nicht supplementiert werden.

fitkult.de: Was empfiehlst du denjenigen, die sich selbst an die Carnivore Ernährung heranwagen möchten?

Christoph Lex: Zuerst einmal sollte man sich bewusst sein, warum man sich Carnivore ernähren will. Leidet man an einer Autoimmunerkrankung wie Colitis Ulcerosa oder Morbus Crohn, will man überschüssiges Gewicht verlieren oder einfach weniger ungesunde Lebensmittel wie Zucker und Saatenöle konsumieren?

Denn sich Carnivore zu ernähren mag zwar einfach klingen, erfordert aber eine ordentliche Portion an Willenskraft. Ähnlich wie beim Rauchen aufhören hilft es, möglichst vielen Menschen von seinem Vorhaben zu erzählen. So schafft man Accountability (Rechenschaftspflicht) gegenüber seinem Partner, Freunden oder Familienmitgliedern. Je mehr Menschen im engen Umfeld davon wissen, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man aufhört, sich daran zu halten. Wie bei so vielen Dingen ist auch bei der Carnivoren Ernährung Vorbereitung und Planung die halbe Miete. Dazu gehört es, alle nicht-carnivoren Lebensmittel aus dem Kühlschrank zu verbannen. Denn Gelüste nach Süßigkeiten, Chips oder Eis werden auch während der Anfangszeit präsent sein. In den ersten zwei Wochen findet eine Umstellung von Kohlenhydrat- auf Fettstoffwechsel statt. Bei schlechter Vorbereitung ist hier mit grippeähnlichen Symptomen zu rechnen. Man spricht auch von der Keto-Grippe. Hier muss man dringend auf eine ausreichende Salzzufuhr achten. Da der Körper auf den gesteigerten Fettkonsum nicht vorbereitet ist, kann es Sinn machen, Verdauungsenzyme oder Ochsengalle vor Mahlzeiten zu nehmen, um die körpereigene Produktion der Verdauungssäfte anzuregen. Ein guter erster Meilenstein wäre es, sich 30 Tage rein Carnivore zu ernähren und dann zu evaluieren, ob die gesundheitlichen Vorteile dieser Ernährung die Stringenz rechtfertigen.

fitkult.de: Lieber Christoph, danke für die wertvollen Informationen und viel Glück für die anstehenden Wettkämpfe.

Foto: freies Bild vom Interviewpartner Christoph Lex